Die Stiefel, die Grethes Bein gerettet haben

Die Ärzte wollten Grethe Valskaar Hetlands Bein amputieren. Dann erfuhr sie von den FlowOx™-Stiefeln. Sie sehen fast wie transparente Slalomstiefel aus, oder übergroße Schneeschuhe aus den 1980er Jahren.

Der Stiefel wechselt zwischen Vakuum und nicht-Vakuum ab. Dies soll die Blutzirkulation auf Mikroebene im Gewebe des Fußes verbessern. Die medizinische Fachwelt beschreibt die Erfindung als vielversprechend und erwartet weitere Erkenntnisse.

Eine Krankheit nach der anderen

Beginnen wir mit dem Erfahrungsbericht von Grethe Valskaar Hetland (43) aus dem norwegischen Ort Sandnes. Ihr Leben war aufgrund eines zunehmend komplexeren Krankheitsbildes nicht einfach.

Ich bekam im Alter von fünf Jahren Diabetes. In meiner Kindheit bekam ich täglich zwei Spritzen Insulin, und in meiner Jugend hatte ich Stoffwechselprobleme. Später traten weitere Komplikationen auf.


Grethe Valskaar Hetland

Sie hatte hämophagozytische Lymphohistiozytose, eine schwere Krankheit, die gesunde Organe angreift, weil zu viele weiße Blutkörperchen produziert werden.

„Ich wurde mit Chemotherapie und hohen Dosen von Kortison behandelt. Dies verschlimmerte meinen Zustand erheblich“. Als ob das nicht genug wäre, war Grethe auch noch von der Knocheninfektion Osteomyelitis betroffen. „Ich hatte Wunden an den Zehen, meine Beine schwollen an und mir mussten vier Zehen und ein Finger amputiert werden“.

„Danach saß ich drei Jahre lang im Rollstuhl“. Für die Soul Musikerin Grethe haben die Krankheiten ihr Leben sehr stark erschwert. „Ich bin erst ein ganzer Mensch, wenn ich singen kann“, sagt sie.

Die Ärzte waren bereit aufzugeben.

Oberarzt Andreas Reite aus der Abteilung für Gefäßchirurgie am Universitätskrankenhaus Stavanger sagt, dass Komplikationen von Grethes Diabetes ihre Atheriosklerose verursacht haben. Der Blutfluss in ihren Beinen reichte nicht aus, es entstanden Wunden und weitere Komplikationen.

„Als wir sie das erste Mal untersuchten, hatte sie eine kleine Wunde. Wir haben dann eine Verstopfung in ihren Arterien behandelt und diese ein wenig geöffnet. Dann wurde es immer schlimmer. Schließlich gab es keine offenen Venen mehr in ihren Beinen. Wir waren nicht mehr in der Lage, mit unseren medizinischen Instrumenten die Blockaden zu beseitigen. Üblich ist in solchen Fällen die Amputation, vor allem in Fällen wie bei Grethe, wo es Infektionen und Ruheschmerzen gibt.“

Nach einem Berufsleben als Angestellte im Gesundheitswesen in der häuslichen Pflege, in der Psychiatrie und in einem Altenpflegezentrum wurde Grethe Valskaar Hetland als 35-Jährige arbeitsunfähig. Natürlich war das ein harter Schlag. „Ich lache gerne, aber der Ernst hat mich gepackt“, sagt die heute 43-Jährige. „Damals war die Blutzirkulation in den Beinen so schlecht, dass sie kaum den Blutdruck in meinem Fuß messen konnten“.

„Ich hatte einen fantastischen Spezialisten, Bodo Günther, der mir sehr geholfen und mich mehrfach operiert hat. Aber dann kam ich an einen Punkt, an dem die Ärzte nicht mehr viel für mich tun konnten“, sagt Grethe.

Grethe Valskaar Hetland's disease picture is complex and complicated.

Das Krankheitsbild von Grethe Valskaar Hetland ist komplex und kompliziert.

Eine zweite Meinung

Grethe wurde gesagt, dass es keine Alternative zur Amputation gäbe. Das betraf zunächst ein Bein, unterhalb des Knies. „Ich konnte damit leben, ein paar Zehen zu verlieren, aber nicht ein ganzes Bein. Ich bat um eine zweite Meinung.“

Jahrelang hat Grethe relativ isoliert von der Außenwelt gelebt. Erfüllt davon, ihrem Mann Ragnar eine gute Ehefrau und ihrem 11-jährigen Sohn Carl Grant eine gute und liebevolle Mutter zu sein.

“Ich kann nicht allzu viel an einem Tag machen.“ Aber vor zwei Jahren geschah etwas, das in Grethe einen neuen Lebensfunken entfachte. Da Grethe erst in ihren 40ern und “ein besonderer Fall“ ist, so Andres Reite, bat das Stavanger Universitätsklinikum um eine zweite Meinung bei den Kollegen der Universitätsklinik Oslo.

Auch die Osloer Ärzte glaubten nicht, dass mit einer Öffnung der Gefäße des Beins mehr zu erreichen wäre. Stattdessen schlugen sie vor, den FlowOx™-Stiefel auszuprobieren, von dem die Klinik erfahren hatte.

Mehr helfen wollen

„Wenn man so weit unten ist, wie ich es war, klammert man sich an alles, was funktionieren könnte. Auch wenn ich diesem Stiefel skeptisch gegenüberstand, wollte ich nichts unversucht lassen.“ Heute ist Grethe glücklich, dass sie eine zweite Chance bekommen hat. Die letzten zwei Jahre waren eine ermutigende Erfahrung.

„Seit der Benutzung der Stiefel habe ich stetig Fortschritte gemacht. Die Beine sind schmerzfrei und die Blutzirkulation ist viel besser. Meine Beine haben sich so weit verbessert, dass ich gehen und das Heimtrainer-Fahrrad benutzen kann. Wenn ich eine Zeit lang keine Lust auf Sport habe, benutze ich die Stiefel in der Regel öfter.“

Sie beschreibt das Gefühl beim Benutzen der Stiefel, als ob jemand ihre Beine massieren würde. „Es ist schade, dass ich nicht früher davon erfahren habe. Es ist mir etwas unangenehm, meine Geschichte zu erzählen, aber ich tue es, weil ich möchte, dass andere die Möglichkeit haben, die gleichen Fortschritte zu machen wie ich.“

Andreas Mollatt ist der CEO von Otivio.

„Wir haben den Stiefel an 200 Patienten in Zusammenarbeit mit 30 führenden Krankenhäusern in Norwegen, Großbritannien und Deutschland getestet. Das Ergebnis hat alle Erwartungen übertroffen. Die Hälfte der Patienten mit den schwierigsten Krankheitsbildern hat von FlowOx™ in Form von Wundheilung und Schmerzlinderung profitiert. Das medizinische Fachpersonal in den betroffenen Krankenhäusern möchte unsere Technologie zunehmend einsetzen.“

„Es gibt keine Nebenwirkungen und die Therapie kann zu Hause angewendet werden. Wenn die Behandlung nicht funktioniert, dann beenden wir sie einfach. Es gibt keine Nachteile“, sagt Andreas Mollatt.

Was bedeutet das für das deutsche Gesundheitssystem?

Die Kosten für eine Amputation als Komplikation bei Diabetes mellitus, oft mit PAVK, kann mit ca. 14.280 EUR beziffert werden.1 Jährlich sind ca. 40.000 Amputationen aufgrund von Diabetischem Fußsyndrom, vielfach begleitet durch eine PAVK in Deutschland zu verzeichnen.2 Man kann demnach davon augehen, dass dies zu einer Belastung des Gesundheitssystems geschätzt in Höhe von über einer halben Milliarde Euro pro Jahr bedeuten würde. Schätzungen zu Folge, könnten bis zu 80% dieser Amputationen durch eine bessere Behandlung vermieden werden.3 Dazu gehört natürlich auch eine verbesserte Durchblutung, wie sie FlowOx™ erzeugen kann.

Es wird erwartet, dass die Kosten sowie die gesellschaftlichen Auswirkungen der geringeren Lebensqualität durch eine verminderte Mikrozirkulation mit der alternden Bevölkerung und der Zunahme von Diabeteserkrankungen erheblich steigen werden.4 FlowOx™ bemüht sich hier entgegenzuwirken.

Quellen:
1 Deutscher Gesundheitsbericht – Diabetes 2021, Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, Verlag Kirchheim + Co GmbH, 2020, Seite 259
2 Diabetisches Fußsyndrom – der vergessene Gefäßpatient, Holger Lawall, Der Diabetologe, Volume 16, Seiten 339–348(2020)
3 Informationsdienst Wissenschaft (idw), Amputationen vermeiden, https://idw-online.de/de/news750547, entnommen am 29.12.2020
4 Diabetes in Deutschland – Zahlen und Fakten, Wissenschaftliche Unterstützung: Prof. Dr. Wolfgang Rathmann, Prof. Dr. Andrea Icks; https://www.diabinfo.de/zahlen-und-fakten.html, entnommen am 29.12.2020

Ausblick

Andreas Reite aus dem Stavanger Universitätsklinikum antwortet auf die Frage, ob er glaubt, dass es der Stiefel ist, der bei Grethe in den letzten zwei Jahren den Unterschied gemacht hat:

„Es ist schwierig, zu 100 Prozent zu sagen, dass dies der Grund ist, da sie viele Komplikationen hat. Was wir sagen können, ist, dass wir ohne den Stiefel amputiert hätten, und mit dem Stiefel hat Grethe ihren Fuß behalten“, fügt er hinzu.

Wie groß ist die Chance, dass der verbesserte Zustand bei Grethe erhalten bleibt?

„Das ist schwer zu sagen, aber im Moment sieht es gut aus. Sie kann besser gehen und kommt besser im Alltag zurecht, als zuvor.

Sind Sie überrascht, dass es ihr so viel besser geht?

„Ja, im positiven Sinne. Aber das ist nicht über Nacht passiert. Es war ein langer Prozess, in dem es ihr allmählich besser ging, aber mit vielen Schmerzen auf dem Weg.“

Hoffnung für die Zukunft

Für Grethe Valskaar Hetland ist das Singen wichtig, vielleicht der größte Antrieb in ihrem Leben. „Ich war vor vier oder fünf Jahren zum letzten Mal auf der Bühne. Sollte ich wieder auftreten können, dann müsste ich auf den Beinen stehen können. Jetzt träume ich davon, bald wieder ein Konzert geben zu können.“

„Aber ich weiß, dass mein Gesundheitstand immer zu meinem Leben dazu gehören wird. Diese Tatsache muss ich einfach akzeptieren“, sagt sie abschließend.

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